Die Handwerkskammer entlässt ihren ersten Syndikus1904: Der Fall Grunenberg
Die Geschichte der Handwerkskammer Düsseldorf weist eine gute Tradition auf: die zumeist ein Jahrzehnt überschreitende Dauer der Amtsführung ihrer Hauptgeschäftsführer.
Diese Kontinuität deutet ebenso auf deren vorhandenen Sachverstand wie auf ein prinzipiell gutes Verhältnis zwischen hauptamtlich und ehrenamtlich agierenden Amtsträgern hin. Darüber hinaus ist sie wohl auch ein Indikator für die generelle Akzeptanz des Verwaltungschefs in den Handwerkerkreisen selbst.
Dass dieser Zustand nicht naturgegeben ist, belegt ein gründlich misslungener "Fehlstart". Im Januar 1904 einigten sich die Handwerkskammer zu Düsseldorf und ihr erster Syndikus Dr. Andreas Grunenberg auf die Aufhebung dessen Dienstvertrages - "gütlich". In der Sache änderte es nichts: Man schied im Streit.
Was nun brachte Grunenberg zu Fall? Nach Darstellung des "Vorsitzenden" (Kammerpräsident) Fritz Hartes, lag "eine entschiedene Übertretung der Befugnisse des Sekretärs (i.e. Syndikus)" vor. Grunenberg habe dem Vorsitzenden Schreiben vorenthalten, in dessen Namen Schriftwechsel geführt, von Angestellten der Kammer "private" Arbeiten ausführen lassen u.a.m.
Grunenberg bestritt alle diese Vorwürfe. Der Syndikus sah sich seinerseits als Opfer einer Intrige, "von langer Hand und planmäßig vorbereitet". Ihm zufolge suchte der Rheinische Handwerkerbund "Misstrauen zwischen den Vorsitzenden und mich zu säen." Angenommen, dies träfe zu, stellt sich die Frage nach dem "Warum". Die - mögliche - Antwort: unüberbrückbare Gegensätze in der Frage nach der "richtigen" Handwerkspolitik.
Um die Jahrhundertwende sahen sich viele Gewerke einem verstärkten Konkurrenzdruck ausgesetzt. Dieser drohte zahlreiche handwerkliche Existenzen in den Ruin zu treiben. Was tun? Der grunenbergsche Lösungsansatz setzte auf den "Markt". Der Syndikus nämlich zeigte sich tendenziell einem stark "liberalen" Wirtschaftsverständnis aufgeschlossen. "Manchesterman", so schimpften ihn seine Gegner. Nach Ansicht Grunenbergs erforderte der wirtschaftliche Wandel, der mit der Industrialisierung eingetreten war, von den Handwerkern eine deutlich erhöhte Flexibilität. Mutmaßlich begriff er, anders als viele Handwerker, die Industrie nicht ausschließlich als Feind des Handwerks, sondern auch als Chance. Eine Position, die auch sein Nachfolger Josef Wilden später wiederholt vertreten sollte. Offensichtlich hielt Grunenberg das Begehren großer Teile des Handwerks, der Staat möge das Handwerk schützende Gesetze erlassen, für den falschen Ansatz. Solche Gesetzesvorstellungen zielten beispielsweise auf das Untersagen der Gefängnisarbeit, das Besteuern von "Warenhäusern" oder ganz generell auf die Verteuerung "industrieller" Produktionsweisen.
Stattdessen setzte Grunenberg auf verstärkten Wissenserwerb. Nun war zur damaligen Zeit auch die Bereitschaft, sich beispielsweise in betriebswirtschaftlicher Hinsicht fortzubilden, noch wenig entwickelt. Dies galt vor allem für ältere, längst etablierte Handwerksmeister. Grunenberg scheute nun nicht davor zurück, diese, gegebenenfalls auch öffentlich, der Rückständigkeit zu zeihen. Ihm zufolge "erhielten die Lehrlinge ... großen Teils nur Volksschul- und Werkstattbildung, ... werde betreffs der Gesellen ein großes Kapital geistiger und wirtschaftlicher Kraft auf die Straße geworfen, ... (sei) ein großer Teil der Meister in technischer Hinsicht nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
"Dies alles mag noch hinnehmbar gewesen sein, das Genick brach dem Syndicus Anderes. In seiner 69 Seiten langen Rechtfertigungsschrift spitzte Grunenberg es wie folgt zu: Man plane seine Beseitigung "lediglich deshalb, weil ich ein Gegner des Befähigungsnachweises war und bin." Mit dieser Position jedoch gewann man, auch wenn die Diskussion offener war als heute, in Handwerkerkreisen auch damals nur wenig Freunde.
von Dr. Werner Mayer