Von den Stärken des "organisierten" Handwerks1914 bis 1918: Die Kammer im Ersten Weltkrieg

Während des Ersten Weltkrieges gerieten viele Betriebe trotz aller Anstrengungen in existentielle Bedrängnis. Schlimmer noch als der Arbeitskräftemangel wirkten sich der allgemeine Auftrags- und Rohstoffmangel aus. Dies war die Stunde der Handwerkskammern.

Foto von 1919: Steinbildhauermeister Wilhelm Mickerts mit Kollegen auf der Werkkunstschule Krefeld
Wilfried Mickerts GmbH, Krefeld
Steinbildhauermeister Wilhelm Mickerts (links) auf der Werkkunstschule Krefeld, 1919

Der Erste Weltkrieg ging am Handwerk nicht vorbei und sollte später deutliche Spuren hinterlassen.

Bei Ausbruch des Krieges im August 1914 stimmte auch das Handwerk in den allgemeinen "Hurra-Patriotismus" ein. Die Dauer des Krieges sowie vor allem die mit diesem einhergehenden Probleme dürften jedoch beim einzelnen Handwerker rasch zu einer Abkühlung der anfänglichen Begeisterung geführt haben.

Stellungsbefehle und sonstige Dienstverpflichtungen zeitigten ihre Wirkung: Viele Betriebe sahen sich gezwungen, mit Notbesetzungen zu arbeiten oder verwaisten gar vollständig.

Das Bild vom "Mann im Betrieb" und der "Frau hinter dem Herd", ein Bild, das für das Handwerk ohnehin nie ganz gestimmt hatte, war schnell überholt. Das neue Motto: die "Frau im Betrieb", "der Mann im Feld". In der Regel übernahmen die Ehefrauen die Leitung des Betriebes, mitunter wurde sogar die Elterngeneration aus dem Ruhestand reaktiviert.

Trotz aller Anstrengungen gerieten viele Betriebe in existentielle Bedrängnis. Schlimmer noch als der Arbeitskräftemangel wirkten sich der allgemeine Auftrags- und Rohstoffmangel aus. Dies war die Stunde der Handwerkskammern. Jetzt trugen die Beziehungen zu politischen und auch militärischen Stellen, die man seit den Gründungen im Jahre 1900 gepflegt hatte, nachweislich Früchte. Auch die Handwerkskammer Düsseldorf betrieb Akquise, wo sie nur konnte. Sie war an der Gründung von sechs Zentralgenossenschaften beteiligt, oder, auch das kam vor, warb selbst unmittelbar Aufträge ein. Dass sie damit - vor dem Hintergrund ihres gesetzlichen Auftrages - in einer Grauzone manövrierte, nahm sie in Kauf. Der Zweck heiligte die Mittel, konnte doch ein einziger Großauftrag, beispielsweise das Schneidern von Uniformen, die Existenzsicherung einer gesamten Branche im Kammerbezirk auf ein oder zwei Jahre hinaus bedeuten.

Insgesamt vermittelte die Handwerkskammer Düsseldorf "ihren Handwerkern" während des Krieges direkt oder indirekt - ohne die "umfangreichen Aufträge" im Schneider- und Schuhmachergewerbe - immerhin 156 Aufträge mit einem Gesamtwert von über 9 Millionen Mark: 27 Aufträge an die Wagenbauer für knapp 2 Millionen Mark, 34 für die Sattler für ca. 1,6 Millionen Mark, 1 (einziger) Auftrag für die Feinmechaniker für immerhin ca. 0,75 Millionen Mark, um nur einige Beispiele zu nennen.

Wem jedoch kamen diese Kammeraktivitäten zugute? Allen rund 47.000 Handwerksbetrieben des Bezirks? Das hätte zum einen den berühmten Tropfen auf den heißen Stein bedeutet, wäre zum anderen aus logistischen Gründen kaum zu handhaben gewesen. Vor allem jedoch wäre es den Prioritäten der Handwerkskammer Düsseldorf zuwider gelaufen: "... hat die Kammer den größten Wert darauf gelegt, bei der Zuteilung der Aufträge die Organisationen zu berücksichtigen. In den Gewerben, in denen keine leistungsfähigen Organisationen vorhanden waren, ist denn auch die Zahl der Aufträge sehr gering."

In der Regel waren es die Innungen und Genossenschaften, die vor Ort die gelieferten Rohstoffe an ihre Mitglieder verteilten. Darüber hinaus lieh man sich, Zeichen der Solidarität, nicht selten die vom Fronteinsatz verschonten Handwerksmeister, Gesellen, Lehrlinge und sonstigen Hilfskräfte gegenseitig aus. Spendensammlungen für Kriegsteilnehmer, für Kriegsverletzte oder auch für die Angehörigen von gefallenen Handwerkern traten hinzu. Wer als Handwerker organisiert war, konnte auf die Hilfe seiner sonstigen Konkurrenten hoffen. Nicht organisiert zu sein, wurde durch die Realität des Krieges gleichsam sanktioniert.

Die Organisationen zu stärken, dies hatte sich die Kammer von Beginn ihrer Tätigkeit auf die Fahnen geschrieben. Dieser Prozess war alles andere als konfliktfrei verlaufen, im Ersten Weltkrieg jedoch begann sich diese Linie auszuzahlen. Auf lange Sicht hin beförderte der Krieg die Organisationsbereitschaft der Handwerker und darüber hinaus die Akzeptanz der Kammer durch ihre Mitglieder.

Der Krieg wirkte lange nach. Im Jahre 1924, sechs Jahre nach Kriegsende, betrug die Anzahl der Betriebe rund 46 000 und hatte noch nicht wieder das Vorkriegsniveau erreicht.

von Dr. Werner Mayer