Strukturelle Gegensätze zwischen Staat und Handwerk1919 bis 1933: Die Zeit der Weimarer Republik
Das deutsche Handwerk hat nie eine wirkliche Beziehung zur Weimarer Republik entwickeln können. Als zu groß, zu belastend erwies sich die Hypothek des verlorenen Krieges.
Wie unter den Deutschen insgesamt fand man auch unter den Handwerkern mehr Monarchisten als Demokraten. Mit dem Kaiser verbanden sie den "Verteidigungs"-Krieg, mit der Republik hingegen das Kriegsende, die Niederlage. Die Folgen: Im Bezirk der Handwerkskammer Düsseldorf waren 70 Prozent der Betriebe geschlossen, zum Teil existentiell gefährdet. Noch auf Jahre hinaus behinderte der Rohstoffmangel eine wirtschaftliche Erholung. Ein Teil des Kammergebietes war von den Siegern besetzt, der Warenaustausch entsprechend stockend. Was der Krieg gelassen hatte, fraß die Inflation.
Darüber hinaus brachte der Systemwechsel das Ende des im Kaiserreich praktizierten Mittelstandsprotektionismus mit sich. Die Zeit des "Staatskorporatismus" in der Gewerbepolitik war vorbei. Im November 1918 hatten industrielle Unternehmerverbände im "Zentralarbeitsgemeinschafts-Abkommen" die Gewerkschaften offiziell als Tarifpartner anerkannt. Ferner einigte man sich auf den Achtstundentag bei vollem Lohnausgleich, auf die Etablierung von Arbeiterausschüssen in Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten. Dadurch befand sich auch das Handwerk von Beginn an in der Defensive. Die von den Betriebsinhabern dominierten Handwerksorganisationen sahen sich gezwungen, Kompromisse einzugehen, denen sie im Kaiserreich noch erbitterten Widerstand entgegengesetzt hätten. Jedoch gelang es ihnen, weitergehende planwirtschaftliche Tendenzen und Sozialisierungsbestrebungen abzuwehren. Das freie Unternehmertum blieb gewahrt, die Forderungen der Arbeitnehmerseite nach paritätischer Mitbestimmung - auch heute noch ein Thema - drangen nicht durch.
Im Jahre 1925, ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung, hatte sich die Handwerkskammer Düsseldorf als feste Größe an Rhein und Ruhr etabliert. Sie unterhielt zahlreiche Kontakte zu wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern. Sie betrieb eine eigene Organisations-, Wirtschaftsförderungs- und Bildungspolitik. Sie führte die Geschäfte des 1918 gegründeten "Westdeutschen Handwerkskammertags" (WHKT). Kammerpräsident Wilhelm Hecker war in Personalunion Vizepräsident des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages. Man sah sich vertreten im Reichswirtschaftsrat, in den Verwaltungsgremien von Reichspost, Reichsbank, Reichsbahn und vielen anderen.
Diese eindrucksvolle Bilanz der Kammer konnte die strukturellen Gegensätze zwischen dem Weimarer Staat und dem Handwerk nicht verdecken. Nach dessen Ansicht tat jener zuwenig für den Mittelstand. "Die Erhaltung eines gesunden Mittelstands ist für Staat und Gemeinde nicht anderes als eine Pflicht der Selbsterhaltung." Konkret verlangte die Handwerkskammer eine Vereinfachung des Steuerwesens, eine individuelle Veranlagung nach Leistungsfähigkeit sowie ein deutliches Fernhalten des Staates von der Führung jeglicher "Regiebetriebe".
Die Zugeständnisse der staatlichen Seite hielt man für unzureichend. Auch auf der Ebene der Legislative blieb der große Durchbruch aus. Die Gesetzesvorlage einer "Reichshandwerksordnung" verschwand Mitte der zwanziger Jahre wieder in den Schubladen des Reichswirtschaftsministeriums. Die im Februar 1929 verabschiedete Novellierung der Gewerbeordnung, die immerhin die Abschaffung des "Staatskommissars" sowie die Einführung der "Handwerksrolle" beinhaltete, wurde bestenfalls als Trostpreis begriffen.
Letztlich jedoch entschied die wirtschaftliche Entwicklung über das Verhältnis von Handwerk und Weimarer Republik. Spätestens ab 1928 geriet das Handwerk im Kammerbezirk ökonomisch gesehen zunehmend unter Druck. Die Weltwirtschaftskrise vom Oktober 1929 brachte die konjunkturelle Waagschale endgültig aus dem Gleichgewicht. Staatliche Arbeits- und Wohnungsprogramme verpufften weitgehend ohne Wirkung. In den Augen der Handwerkskammer Düsseldorf hing eine Verbesserung der Lage davon ab, ob es gelang, "Wirtschaft und Politik wieder miteinander zu versöhnen unter Anerkennung der Priorität der ersteren". Eine solche Position, getragen von der Mehrheit des deutschen Handwerks, stand im Gegensatz zum Verfassungsverständnis der Weimarer Republik. Da sich die wirtschaftliche Situation eher noch verschlechterte, ließen sich die Gräben bis 1933 nicht mehr zuschütten. Allerspätestens jetzt ruhten die Hoffnungen vieler Handwerker auf den Nationalsozialisten.
von Dr. Werner Mayer