Wie Phoenix aus der Asche1933 bis 1953: Zweiter Weltkrieg und Wirtschaftswunder
Die im Juli 1897 novellierte Gewerbeordnung, das sogenannte Handwerkergesetz, erfüllte längst noch nicht alle Wünsche und Hoffnungen der Betroffenen. Doch sollte mehr als ein halbes Jahrhundert vergehen, bis sich die Handwerker am Ziel sahen.
Es blieb dem Deutschen Bundestag vorbehalten, im März 1953 mit der "Deutschen Handwerksordnung" das "Grundgesetz des deutschen Handwerks" zu verabschieden.
Der Beginn der Weimarer Republik hatte für die Handwerker auch das Ende des im Kaiserreich praktizierten Mittelstandsprotektionismus eingeleitet. Das neue "System" schenkte den Handwerkern in deren Augen viel zu wenig Beachtung: Das Streben nach einer "Reichhandwerksordnung" verlief Mitte der 1920er Jahre im Sande. Die 1929 verabschiedete Handwerksnovelle, die unter anderem die Einführung der Handwerksrolle sowie die Abschaffung des "Staatskommissars" mit sich brachte, galt vielen Handwerkern bestenfalls als "Trostpreis". Die Nachkriegsbelastungen, die Inflation und schließlich die Weltwirtschaftskrise sorgten dafür, daß gegen Ende der Republik die Hoffnungen vieler Handwerker auf den Nationalsozialisten ruhten. Auch wenn es diesen an einem eigenständigen, in sich konsistenten Wirtschaftsprogramm mangelte, hatten doch deren Verbalhülsen wie "Antiliberalismus, Antikapitalismus, Volksgemeinschaft und Ständestaat" unter den Handwerkern Wirkung erzielt.
Mit dem Regimewechsel von 1933 verbanden sich also für das Handwerk vor allem optimistische ökonomische Erwartungen. Vor diesem Hintergrund scheint es nicht allzu schwer gefallen zu sein, den notwendigen politischen Preis zu bezahlen: Die "Gleichschaltung" vollzog sich im Handwerk reibungslos, auch an Rhein und Ruhr. Der Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf, Wagenbaumeister Wilhelm Hecker, räumte 1933 seinen Posten. Ihm folgte - nach kurzem Intermezzo eines Kammerpräsidenten namens Herzog - der Schuhmachermeister Edmund Hegenberg. Auf hauptamtlicher Ebene vollzog sich der Wechsel 1936 von Dr. Peters, der aus Altersgründen ausschied, zu Dr. Weber.
Hätte man zu diesem Zeitpunkt unter den Handwerkern eine Umfrage bezüglich ihrer Zufriedenheit mit dem Regime durchgeführt, die Zustimmungsquote dürfte - auch unter nichtdiktatorischen Bedingungen - aller Wahrscheinlichkeit nach hoch gewesen sein. Zum einen hatten die Nationalsozialisten den jahrzehntelang vorgetragenen Forderungen der Handwerker nach Einführung des Großen Befähigungsnachweises, der Pflicht- oder Zwangsinnung und einer handwerkseigenen Ehrengerichtsbarkeit nachgegeben. Zum anderen hatte sich Mitte der dreißiger Jahre die ökonomische Situation des Handwerks ganz deutlich verbessert. Die für diese Zeit vorliegenden Kammer- und Innungsberichte sind sehr positiv gehalten, auch die staatlichen Einnahmen aus Gewerbesteuern, in der Regel ein bewährter Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, stiegen ebenso kontinuierlich wie stark an. Ein Aufschwung, der sicherlich auch, aber längst nicht ausschließlich, auf der Rüstungswirtschaft beruhte.
Spätestens mit Kriegsbeginn begann sich das Blatt für die Handwerker zu wenden. Für Unruhe hatten jedoch schon zuvor die umfassenden, von den Nationalsozialisten erzwungenen Betriebsschließungsaktionen gesorgt. Die am 22. Februar 1939 erlassene "Handwerkereinsatzverordnung" bildete die Grundlage für die "planvolle Löschung von Betrieben übersetzter Handwerkszweige". Ferner war es aufgrund der vom Regime angestrebten Autarkie schon ab 1936 in dem einen oder anderen Gewerbe zu Rohstoffengpässen gekommen. Mit Kriegsausbruch galt das gleichsam für das gesamte Handwerk. Wie schon während des Ersten Weltkriegs stellten sich rasch die üblichen Begleiterscheinungen ein: Einberufungen und Dienstverpflichtungen für die Männer, die Frauen erneut in der Funktion des Lückenbüßers. Selbstverständlich bemühten sich die Kammern und Innungen, Rohstoffe zu beschaffen und möglichst gerecht zu verteilen, Einberufungen von Meistern und Gesellen zu verhindern oder zumindest deren Auswirkungen zu lindern. "Je länger der Krieg allerdings dauerte, desto schwerer wurde es, dieses Ziel zu erreichen. Schließlich wurden sogar Lehrlinge zu den Fahnen gerufen", so ein Bericht der Metall-Innung Essen.
Das Ende ist bekannt. Im Unterschied zur Zeit nach dem Ersten Weltkrieg lag das Land diesmal in Trümmern, waren die Verkehrswege zerstört, eine ganze Bevölkerung auf Wanderschaft. Überall mangelte es an Kleidung, Heizmaterial und vor allem an Nahrung. Die Lebensumstände nach 1945 schrien geradezu nach "Improvisationskünstlern", und nicht wenige von ihnen fanden sich im Handwerk. Dessen traditionelle Vorzüge kamen jetzt zur vollen Geltung: Die lokalen Bindungen verkürzten die Kommunikationswege, "der Hände Arbeit" war angesichts zerstörter Maschinen gefragt wie lange nicht mehr. Die gegenüber der Industrie deutlich reduzierte maschinelle Ausstattung erwies sich jetzt als Vorteil. Zudem zeigten sich die einfacher konstruierten Maschinen, zumeist ausgestattet mit Gas-, Benzin- und Elektromotoren, in vielen Fällen als reparabel. Dem Rohstoffmangel begegnete man, wo immer möglich, durch "Kompensationsgeschäfte" aller Art. Dass diese illegal waren - wen scherte es? So waren es nicht die Industrie, nicht die Dienstleister, sondern in aller erster Linie das Handwerk, das im ersten Jahrfünft nach Kriegsende zum unverzichtbaren Bestandteil des ökonomischen Überlebens der Deutschen wurde - ein Phoenix aus der Asche. In den fünfziger Jahren dann nahm das Handwerk zwar am "Wirtschaftswunder" teil, verlor jedoch seine dominierende ökonomische Bedeutung der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Nicht nur die Betriebe und Werkstätten lagen bei Kriegsende in Trümmern. In gewisser Weise galt das auch für das deutsche Handwerksrecht, hatte es doch seine Verbindlichkeit weitgehend verloren. Ausgerechnet der NS-Staat war es gewesen, der jahrzehntelange Forderungen der Handwerker erfüllt hatte. Und nun sollte alles vergeblich gewesen sein? "Deutsches Recht" war tot, Besatzungsrecht regierte. In jeder Zone verfuhren die Machthaber anders mit dem Erbe, das ihnen die Nationalsozialisten hinterlassen hatten. Als um so wichtiger sollte es sich erweisen, dass die Handwerkskammern nach Kriegsende sehr schnell ihre alte Rolle zurückgewannen. 1943 waren sie unter Zwang in die Gauwirtschaftskammern eingegliedert worden. Damit hatten sie auch formal ihre Selbständigkeit, die sie faktisch schon sehr viel früher eingebüßt hatten, verloren. Nach 1945 gründeten sie sich rasch als eigenständige Institutionen auf der Basis der wirtschaftlichen Selbstverwaltung wieder.
Dies galt auch für die Handwerkskammer Düsseldorf, die sich im Juli 1945 neu konstituierte. Der Düsseldorfer Installateurmeister Franz Köbler wurde zum ersten Nachkriegspräsidenten der Kammer "ernannt". Jedoch sollte nicht er, sondern der Vizepräsident Georg Schulhoff zur bestimmenden Figur werden und der Handwerkskammer Düsseldorf für mehr als drei Jahrzehnte seinen Stempel aufdrücken. Die Entnazifizierungsfrage stellte sich für die Institution Handwerkskammer nicht. Offensichtlich bestand keinerlei Klärungs- und Erklärungsbedarf. Sicher, der langjährige Präsident Edmund Hegenberg musste natürlich gehen, und auch die Versuche des Hauptgeschäftsführers, Dr. Weber, sich in seine alte Stellung wieder einzuklagen, wurden erfolgreich zurückgewiesen. Aber von diesen beiden Symbolfiguren abgesehen, blieb die Kammer im Prinzip personell unverändert. Ihre demokratische Zuverlässigkeit zog, angesichts so ausgewiesen demokratischer Führungsmitglieder wie dem Krefelder Fleischermeister Karl Donners, dem Solinger Schuhmachermeister Arthur Meistermann oder dem Mülheimer Friseurmeister und ehemaligen Reichstagsabgeordneten Max Kölges niemand in Zweifel. Dies lag auch an Georg Schulhoff, der als Halbjude in den 1930er Jahren seinen Betrieb hatte schließen und sich ab 1944 in Düsseldorfer Kellern hatte verstecken müssen. Ohne sein Schicksal je zu instrumentalisieren, sollte Schulhoff schon allein aufgrund seiner Biographie hin eine wichtige Rolle zufallen.
Seine entscheidende Wirkung entfaltete Schulhoff jedoch als Handwerkspolitiker. 1948 mit nur 3 Stimmen Vorsprung zum Kammerpräsidenten "gewählt", ließen ihn seine Arbeitsbesessenheit, seine Intelligenz sowie seine großen rhetorischen Fähigkeiten schnell zu einem der führenden Handwerkspolitiker der Bundesrepublik werden. Maßgeblich Schulhoff war es zu verdanken, dass sich die für das Handwerk relativ günstigen rechtlichen Bestimmungen der britischen Besatzungszone schließlich in der Handwerksordnung wiederfanden: Der Kleine wie der Große Befähigungsnachweis bestanden fort, den Handwerkskammern und Innungen wurde der Status des öffentlichen Rechts zuerkannt. Als weitere wesentliche Elemente traten die Verabschiedung der "Anlage A" mit 93 Gewerben, das Prinzip der Freiwilligkeit von Innungszusammenschlüssen sowie gesetzlich verankerte Gesellenausschüsse mit einer 1/3 Beteiligung auf Kammerebene hinzu. Der Abstimmung vorausgegangen war ein jahrelanges und zähes Ringen mit innerdeutschen wirtschaftsliberalen Kräften sowie Vertretern der amerikanischen Besatzungsmacht, die zum Teil völlig andere gewerberechtliche Regelungen angestrebt hatten. Im März 1953 jedoch hatte das Handwerk es geschafft: Der Deutsche Bundestag beschloss - fast einstimmig, mit Ausnahme der KPD - das "Grundgesetz des deutschen Handwerks".
Von Dr. Werner Mayer