Sicherheitsdatenblätter - begrenzter Nutzen?

Kennen auch Sie ähnliche Situationen? Kaum hat der Maler den Hausflur gestrichen, der Bodenleger seinen Boden verklebt oder der Gebäudereiniger eine Grundreinigung abgeschlossen, schon meldet sich der Kunde „weil es ihm stinkt“. Dann hängt nicht nur Ärger in der Luft, sondern auch Lösemittel oder andere flüchtige organische Stoffe (sogenannte VOCs), welche die Innenraumluft und damit das Wohlbefinden und die Gesundheit belasten. Möglicherweise verlangt der Kunde, diese Beeinträchtigung abzustellen, oder droht mit Regressforderungen bis hin zum Schmerzensgeld.

Spätestens dann stellt sich für den Handwerker die Frage, ob er bei der Auswahl der verwendeten Produkte oder der Verarbeitung Fehler gemacht hat. Also benötigt er Dokumente, die verbindliche Aussagen zu Gesundheitsgefahren und Verarbeitungshinweisen liefen und erkennen lassen.

Wichtige Dokumente in diesem Zusammenhang sind das Sicherheitsdatenblatt (SDB) und das technische Merkblatt („Produktdatenblatt“) der Hersteller sowie die Etikettierung mit Angabe von Inhaltsstoffen. Das zentrale Instrument der Übermittlung gesundheits- und sicherheitsrelevanter Daten ist das Sicherheitsdatenblatt.

Es ist nach dem Chemikalienrecht (REACH) und dem Gefahrstoffrecht (GefStoffV) immer dann zwingend vorgeschrieben, wenn ein Stoff oder Gemisch nach einschlägiger Beurteilung (RL 67/548/EWG oder RL 1999/45/EG) als gefährlich gilt. Dann muss entlang der Lieferkette unaufgefordert spätestens am Tag der 1. Lieferung ein SDB zur Verfügung gestellt werden. Dabei ist der Inverkehrbringer eines Produktes dafür verantwortlich, dass das Sicherheitsdatenblatt fachlich richtig und vollständig ausgefüllt ist. Der Handwerker als Verarbeiter findet im SDB wichtige Hinweise zur Identität des Produktes, zu auftretenden Gefährdungen und zur sicheren Handhabung. Im Kern ist das SDB ein Instrument für den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Daher enthält es zwar Ratschläge für Maßnahmen zur Gesundheitsprävention sowie für den Gefahrenfall, liefert aber nur begrenzt Hinweise auf mögliche Auswirkungen des Produktes auf den Wohnungsnutzer oder Kunden nach der Verarbeitung. Das SDB enthält zumeist keine detaillierte Auflistung aller Inhaltsstoffe („Volldeklaration“) und gibt die Gehalte einzelner Inhaltsstoffe meist nur in Bandbreiten an (z.B. 10 bis 25% aliphatische Kohlenwasserstoffe) an.

Daher kann anhand eines SDB nicht sicher festgestellt werden, ob eine Beeinträchtigung oder Gefährdung des Kunden oder Wohnungsnutzer vollständig ausgeschlossen werden kann. Zum Beispiel könnten in geringen, nicht deklarationspflichtigen Anteilen noch solche Inhaltsstoffe enthalten sein, auf die ein Mensch individuell allergisch reagiert. Ebenso können umweltrelevante Bestandteile wie VOCs mit Blick auf bestimmte umweltrechtliche Vorschriften ausgewiesen sein. Zum Beispiel lässt eine Angabe „VOC-Gehalt < 300 mg/kg“ zwar erkennen, dass Vorschriften der EU-Decopaint-Richtlinie und der deutschen Lösemittelverordnung eingehalten sind. Aus dem Hinweis lässt sich aber nicht ableiten, dass ein Wohnungsnutzer, der sich dauerhaft in einer frisch gestrichenen Wohnung aufhält, über die Innenraumluft nicht beeinträchtigt werden kann.

Anders als die Sicherheitsdatenblätter sind technische Merkblätter / Produktdatenblätter nach Inhalt und Form nicht gesetzlich reguliert. Hier kann der Hersteller „frei“ wichtige Gebrauchseigenschaften und den Verwendungszweck bzw. die Anwendungsbreite seines Produktes beschreiben. Auch Verarbeitungshinweise werden hier genannt. Deshalb ist auch das Produktdatenblatt eine wichtige Informationsquelle. Ist dort der Anwendungsbereich zum Beispiel mit „Zulassung für Seeschiffe“ oder „außen als Voranstrich“ beschrieben, hätte das Produkt im Inneneinsatz gar nicht verwendet werden dürfen. Gerade bei anspruchsvollen Anwendungen – etwa einem Neuanstrich nach einer Schimmelpilzbeseitigung – werden immer wieder Anstriche verwendet, die für Außenanwendungen bestimmt sind und daher zum Beispiel Biozide enthalten: Gut gegen Schimmel – aber auch gegen die Bewohner.

Wenn Sicherheitsdatenblatt und Produktdatenblatt alleine nicht ausreichen, um sich abzusichern, muss der Handwerker mehr tun. So kann er recherchieren, ob für die benötigte Produktgruppe Umweltlabel existieren, welche den erfassten Produkten eine Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit bescheinigen. Beispiele für solche Label / Zertifizierungen sind:

  • Blauer Engel
  • Natureplus
  • Emicode
  • Ökocontrol
  • Naturland
  • Eco-Institut
  • EU-Ecolabel
  • Institut Bauen und Umwelt e.V.
  • Umweltproduktdeklaration (EPD)

Einen guten Gesamtüberblick liefert die Internetseite  www.label-online.de.

Eine weitere Informationsquelle sind Fachdatenbanken im Internet. Allerdings sind nicht alle diese Fachdatenbanken frei zugänglich. Häufig geeignet sind:

Gestis-Stoffdatenbank des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (http://gestis.itrust.de),

Wingis Gefahrstoff-Informationssystem der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (www.wingis-online.de),

Wecobis Ökologisches Bauinformationssystem der Bayrischen Architektenkammer (www.wecobis.de).

Ein Eintrag wie „raumlufthygienisch unbedenklich“ belegt, dass ein Produkt problemlos im Innenraum angewendet werden kann.

Fachdatenbanken können verschiedenste Produktgruppen behandeln oder sehr spezialisiert sein. Wer zum Beispiel als Gebäudereiniger nur als „Gelegenheitstäter“ Desinfektionsmittel einsetzt, läuft schnell Gefahr, mit seiner Bestellung daneben zu greifen. Ist das Desinfektionsmittel umwelt- oder gesundheitsschädlich, können nach dem Einsatz unvorhergesehene Folgeschäden auftreten. Hier hilft die Wiener Desinfektionsmitteldatenbank www.wien.gv.at/umweltschutz/oekokauf/desinfektionsmittel.

Wer auf keinem der vorgenannten Wege genügend Informationen findet, sollte sich bei Bedarf von Fachleuten beraten lassen. Ansprechpartner finden sich bei den technischen Beratern der handwerklichen Fachverbände und Handwerkskammern.

Generell aber gilt, dass vor der Anwendung vor Ort geprüft werden sollte, wie sich entstehende Emissionen und Beeinträchtigungen der Innenraumluft verringern oder zumindest zeitlich begrenzen lassen. Dazu gehört, sich vorab über die Möglichkeiten zur effizienten (möglichst ganztägigen) Lüftung zu informieren und diese auch zu nutzen. Auch der Kunde sollte aufgeklärt werden, wie er sich nach Abschluss der Arbeiten richtig verhält. Besser man spricht vorher über eine mögliche Geruchsbildung als nachträglich über Kundenbeschwerden.

Dr. Volker Becker HWK Düsseldorf

Dr. Volker Becker

Abteilungsleiter Technik

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